Auch wenn es sich an diesem Morgen im Oktober 2020 lediglich um eine gemeinsame Übung der Bundespolizei mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie im Rahmen einer maritimen Gefahrenabwehr handelt – für den Ernstfall eines durch bewaffnete Terroristen verübten Anschlags auf See müssen die Beamten der Bundespolizei vorbereitet sein. An der Seegrenze von Nord- und Ostsee sorgt die Bundespolizei für den grenzpolizeilichen Schutz des deutschen Staatsgebiets. 

Ausbildungszentren der Bundespolizei: Mehr regionale Verwurzelung, mehr Präsenz

Ihr oberster Dienstherr, Bundesinnenminister Horst Seehofer, warb vor allem deshalb um Nachwuchs. 2020 wurde von der Regierung in Berlin die Entscheidung zur Einstellung und Ausbildung von insgesamt 900 weiteren Anwärtern und Anwärterinnen getroffen, die Hälfte davon stationiert in Hessen. Seehofer wollte der Bundespolizei dadurch mehr Präsenz sowie regionale Verwurzelung verschaffen und durch neu zu errichtende Ausbildungszentren gleichzeitig dem Defizit an Unterkunftsplätzen im Liegenschaftsbereich der Bundespolizei entgegenwirken. Als Ausbildungsbeginn war September 2021 vorgesehen, als Ausbildungsort sollte der ehemalige Bundeswehrstandort Alheimer-Kaserne in Rotenburg an der Fulda dienen. Die Bundeswehr ist dort 2015 ausgezogen. Zwischenzeitlich als Hessische Erstaufnahmeeinrichtung genutzt, steht die Liegenschaft aktuell im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Eine unmittelbare Inbetriebnahme zu Ausbildungszwecken war ausgeschlossen. Und so verwandelte sich die verwaiste Liegenschaft im Frühjahr 2020 kurzfristig in ein umfangreiches Bauprojekt. 

Von der verwaisten Liegenschaft zum Projekt für Deutschland

„Dieses Projekt war von Anfang an etwas ganz Besonderes für uns“, sagt Markus Offermann. Er blickt aus seinem Frankfurter Büro auf die nahegelegene und mit Bäumen bewachsene Uferpromenade. Offermann hat Architektur studiert und leitet als Finanzpräsident seit 2018 die Bauabteilung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, die, basierend auf der Ende 2020 abgeschlossenen und rückwirkend ab dem 01.01.2019 geltenden Bundesbau-Vereinbarung Hessen, die Fachaufsicht für Bundesbaumaßnahmen in Hessen wahrnimmt. Für die Ausführung der jeweiligen Maßnahmen ist der Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH) als baudurchführende Ebene zuständig.

Zweckmäßige Priorisierung als Gebot der Stunde

Im Juli 2020 wurde das Land Hessen beauftragt, die ehemalige Kaserne bis zum September 2021 im Bestand herzurichten. Planungs- und Ausführungsauftrag durch die Oberfinanzdirektion an den LBIH erfolgte im Februar 2021. Konkret bedeutete dies, die vorhandenen Unterkunftsgebäude, Lehrsäle, die Sporthalle sowie die Standortschießanlage auf ihre bevorstehende Inbetriebnahme vorzubereiten. Und gleichzeitig die Errichtung späterer Neubauten in modularer Bauweise, eines Lehrsaalzentrums und einer Raumschießanlage zu planen. Zweckmäßige Priorisierung war dabei das Gebot der Stunde.

Am Anfang stand die Herausforderung

Inzwischen liegen arbeitsintensive Monate hinter der Fachaufsicht führenden Ebene, die neben der Einhaltung der Bundeshaushaltsordnung und der für Bundesbauten geltenden Sonderregelungen die Beachtung einschlägiger Vergabevorschriften zu überwachen hat. Die größte Herausforderung bestand jedoch darin, die Maßnahme innerhalb kürzester Zeit zur Genehmigungsreife zu führen. Die Dauer der regulären Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse hätte den angestrebten Einzugstermin in weite Ferne rücken lassen. Offermann und sein Team mussten alternative Lösungen anbieten. Im Rahmen einer innerhalb kürzester Zeit erstellten Machbarkeitsstudie bezifferte die hessische Bauverwaltung das Gesamtprojekt mit Kosten in Höhe von 75 Millionen Euro, davon 16 Millionen Euro für die sofortige Belegung der Unterkunftsgebäude. Zwischen der BImA, dem Bundesfinanzministerium und der Obersten Technischen Instanz im Bundesinnenministerium wurde sodann, aufgrund der hier einschlägigen modularen Bauweise, ein beschleunigtes Verfahren vereinbart. Dadurch waren die parallele Erstellung der notwendigen Haushalts-, Planungs- und Ausschreibungsunterlagen sowie die zeitgleiche Durchführung öffentlich-rechtlicher Verfahren wie dem Baugenehmigungsverfahren möglich. Schließlich sicherte die Durchführung eines eintägigen Genehmigungsworkshops neben der haushaltsrechtlichen auch die baufachliche Anerkennung durch die zuständigen Bundesministerien.

Beginn der Baumaßnahme

Nun konnte der Vollzug der Baumaßnahme beginnen – draußen, auf der Baustelle. Dort angekommen klemmt zunächst die Tür. „Die muss aufgehen! Das ist doch eine Fluchttür!“, sagt Deborah Wagner. Die 33-Jährige versucht es ein zweites Mal – jetzt mit mehr Kraft und mit mehr Erfolg. Von der nun betretenen Dachterrasse aus schweift ihr Blick über das Gelände der Alheimer-Kaserne. Seit mehreren Monaten trägt sie als zuständige LBIH-Projektleiterin Mitverantwortung für die Realisierung der Baumaßnahme und damit auch für die Einhaltung des offiziellen Einzugstermins am 1. September 2021. Klingt nach viel Arbeit. Und nach noch mehr Stress.

Deborah Wagner: Planen, Bauen und Betreuen als Leidenschaft

Doch Deborah Wagner ist genau dort angekommen, wo sie hinwollte. „Schon als Kind habe ich mein Traumhaus skizziert. Planen, Bauen und Betreuen sind bis heute meine Leidenschaften“, sagt sie und berichtet über die Phase ihrer Berufswahl. Vater Bauingenieur, Onkel Stadtplaner – ihr Wunsch, Architektin zu werden, überraschte damals niemanden. Nach dem Abitur immatrikulierte sie sich an der Universität Kassel und studierte Architektur. Auf den Bachelor folgte der Master, auf den Standort Kassel ein einsemestriger Aufenthalt an der Universität Wien. Bereits während ihrer Ausbildungszeit merkte sie, dass ihr die reine Planung keine dauerhafte Erfüllung bringen würde. „Ich will nicht nur zeichnen, sondern vor allem selbst entscheiden“, resümiert Deborah Wagner ihre sodann gefasste Entscheidung für die gewählte Vertiefungsrichtung „Bauwirtschaft“ mit dem Schwerpunkt Management. Hierbei lernte sie die wesentlichen Parameter wie Qualität, Kosten und Zeit bei der Erreichung projektbezogener Ziele einzukalkulieren. Praktisch anwenden konnte sie dieses Wissen nach ihrem Berufseinstieg in der freien Wirtschaft. Doch nach vier Jahren Bauleitung fehlten ihr Perspektive und Herausforderung.

Karriereperspektive in der öffentlichen Bauverwaltung

Letztere entdeckte sie im Öffentlichen Dienst. Eine Karriere in der Bauverwaltung erschien der 33-Jährigen spannend und herausfordernd zugleich. „Hinzu kam, dass ich vier Jahre nach meinem Master-Abschluss wieder lernen und Klausuren schreiben musste“, erinnert sie sich. Doch auch diese scheinbare Hürde empfand Deborah Wagner als ersehnte Herausforderung, bewarb sich erfolgreich beim Land Hessen und absolvierte das Technische Referendariat. Innerhalb von rund zwei Jahren lernte sie, sich in der Welt der Behörden und Paragraphen zu bewegen. Beim LBIH, der Unteren Bauaufsicht sowie im Stadtplanungsamt der Stadt Kassel, der Oberfinanzdirektion in Frankfurt, im Finanzministerium in Wiesbaden und im Regierungspräsidium Darmstadt wurden ihr Einblicke in die breitgefächerte Bauverwaltung vermittelt. Deborah Wagner entwickelte Interesse für juristische Fragestellungen und empfand diese Zeit als sinnvolle Ergänzung zum Architekturstudium. „Natürlich war es anstrengend – vor allem die Prüfungsphase rund um das Staatsexamen. Aber die dadurch eröffneten Karriereoptionen belohnen den Einsatz“, stellt die inzwischen zur Baurätin ernannte Beamtin fest.

Krisensicher, abwechslungsreich und verantwortungsvoll

Im Kreise ihrer ehemaligen Kommilitoninnen erntet sie Anerkennung für ihren Karriereweg, der noch lange nicht zu Ende sein muss. Bauräte können in Hessen zu Bauoberräten und schließlich zu Baudirektoren bzw. Leitenden Baudirektoren befördert werden. Die Besoldungsgruppen reichen von A13 bis A16. Der Job ist krisensicher, die Arbeit äußerst abwechslungsreich und sehr verantwortungsvoll. „Kein Tag ist wie der andere“, stellt Deborah Wagner beim Betreten einer der Unterkunftsimmobilien auf dem Gelände der Alheimer-Kaserne fest. In ihrem Büro, in der Niederlassung Ost des LBIH in Fulda, koordiniert sie Baustellenarbeiten, kümmert sich um Planung, Ausschreibung und Vergabe sowie um die Koordination der einzelnen Gewerke und um die Kommunikation mit der Fachaufsicht führenden Ebene in der Frankfurter Oberfinanzdirektion.

Baufachliche Kompetenz und Empathie als Schlüsselqualifikationen

Regelmäßig organisiert sie Baustellenbegehungen, informiert sich vor Ort über den aktuellen Sachstand und beantwortet Fragen der Bundespolizei und der BImA. Was sie dafür braucht? „Vor allem baufachliche Kompetenz und Empathie. Ich muss auf alle Beteiligten eingehen – mein eigenes Team, bestehend aus Fachingenieuren und Technikern, koordinieren und vor allem die Nutzer, also die in der Liegenschaft später untergebrachte Bundespolizei, sowie die BImA stets einbinden und informieren“, erklärt die 33-Jährige. Doch die Mühe lohnt sich. „Für die mir und meinem Team entgegengebrachte Anerkennung und Wertschätzung bin ich dankbar. Dadurch fühlen wir uns motiviert – auch wenn es mal nicht sofort rundläuft“, weiß Deborah Wagner.

Und welchen Plan hat sie für den Fall, dass es mal mehrere Tage nicht rundläuft? „Hot Yoga – in der Sauna, bei bis zu 38 Grad Celsius“, sagt die junge Projektleiterin und lacht. „Dabei kann ich wirklich entspannen. Außerdem trenne ich Privates von Beruflichem, nehme mir Zeit für meine Familie und reise gerne, um neue Kulturen kennenzulernen.“

Wie damals, direkt nach dem Abitur. Als sie die Koffer packte und in die USA flog. Die beeindruckenden Landschaften, die riesigen Städte und das typische Lebensgefühl im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten beeindruckten sie.

„Kein Tag ist wie der andere,“ stellt Deborah Wagner beim Betreten einer der Unterkunftsimmobilien auf dem Gelände der Alheimer Kaserne fest.

28.000 m²

Fläche 

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75 Mio. €

Gesamtbaukosten

Für die mir und meinem Team entgegengebrachte Anerkennung und Wertschätzung bin ich dankbar. Dadurch fühlen wir uns motiviert – auch wenn es mal nicht sofort rundläuft.

Gleiche und verbindliche Regeln für alle

Und heute – 16 Jahre später – als Beschäftigte in der Bauverwaltung? Eingebunden in Vorgaben und Vorschriften. Passt das zusammen?  „Ja“, sagt Deborah Wagner ohne zu zögern. „Gerade im Rahmen des Referendariats ist mir nochmals deutlich geworden, wie elementar wichtig die Einhaltung von Plänen und Regularien und wie sinnvoll die bürokratischen Maßnahmen sind. Nur so kann es gelingen, gleiche Regeln für alle zu schaffen – niemanden zu bevorzugen, niemanden zu benachteiligen. Gerade im Bereich der Bauverwaltung müssen verbindliche Regeln der Technik gelten und beachtet werden. Auch im Rahmen der Vergabe von Bauaufträgen müssen Transparenz und Klarheit herrschen. Kurzum: Regeln ergeben Sinn!“

Verantwortung für die Allgemeinheit als persönlicher Antrieb

Ihre Aufgabe sieht die junge Projektleiterin darin, beizutragen zur Realisierung und Erhaltung eines modernen, öffentlichen Gebäudebestandes – als eine der wesentlichen Voraussetzungen staatlicher Funktionsfähigkeit. Dieser Aspekt dringt vielleicht nicht bei jeder Aufgabe im Büro oder auf der Baustelle durch. Besonders wichtig ist er ihr trotzdem.

Und wenn sie nicht Ingenieurin geworden wäre? Dann hätte sie sich für eine Ausbildung bei der Polizei entschieden. Heute baut sie Ausbildungsstätten für die Polizeibeamten von morgen. Die Aufgabenstellung mag eine andere sein. Aber der Sinn ist doch derselbe. Die jungen Anwärter und Anwärterinnen, die sich hier auf ihren Dienst als Bundespolizeibeamte vorbereiten, leisten bereits damit ihren Beitrag zur Erhaltung der Sicherheit und dienen dem Land. Ähnlich empfindet Deborah Wagner ihre Aufgabe als Projektleiterin. Auch deshalb ist für sie der Umbau der ehemaligen Kaserne in den vergangenen Monaten immer stärker zu einem ganz persönlichen Projekt geworden. Zu ihrem Projekt für Deutschland.